Menschenhandel an Bord von Verkehrsflugzeugen
- ein unterschätztes Problem?
Menschenhandel an Bord von Verkehrsflugzeugen
- ein unterschätztes Problem?
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
am 20. März 2019 trafen sich auf Einladung von der Vereinigung Cockpit e.V. und der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) e.V. nationale Vertreterinnen und Vertreter von Airlines, Behörden, den beiden Berufsverbänden sowie dem Netzwerk gegen Menschenhandel, IATA und ICAO zum gemeinsamen Workshop „Bekämpfung von Human Trafficking“, um über die Möglichkeiten der Bekämpfung von Menschenhandel zu diskutieren. Im Fokus stand vor allem adäquates Crewtraining sowie die Etablierung einer formalen Meldekette. Wie erkenne ich einen möglichen Fall von Menschenhandel an Bord? Wie gehe ich damit um? Wie und an wen wird gemeldet? Wie weit reicht meine Verantwortlichkeit in besagten Verdachtsfällen?
Nach Begrüßung durch Maria Murtha (Vorständin VC) und Christoph Drescher (Vorstand UFO) führte Shannon von Scheele vom Netzwerk gegen Menschenhandel in die Thematik ein und benannte Indikatoren, die auf Menschenhandel hinweisen können. Human Trafficking liegt immer dann vor, wenn eine Aktion (z.B. Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung) mit gewissen Mitteln (z.B. Androhung oder Ausübung von Gewalt, Entführung, Betrug/Täuschung) zu einem bestimmten Zweck (z.B. sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit, Sklaverei, Entnahme von Organen) durchgeführt wird. Abzugrenzen ist Menschenhandel vom Menschenschmuggel, da bei letzterem generell die Einwilligung der zu schmuggelnden Person, meist unter Zahlung einer Transportgebühr, vorliegt und die Beziehung zum Schmuggler im Zielland endet. Jedoch kann ein Fall von Menschenschmuggel sich ggf. zu einem Fall von Menschenhandel entwickeln, wenn die geschleuste Person im Zielland durch Täuschung, Zwang oder Missbrauch in eine ausbeuterische Situation gebracht wird.
Erschreckende Zahlen
Die Zahlen im Bereich Menschenhandel sind erschreckend: Weltweit sind ca. 40 Millionen Menschen betroffen, hiervon sind 25% Kinder sowie 71% Frauen und Mädchen. Von den gehandelten Frauen und Mädchen enden 99% in der kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Human Trafficking macht einen geschätzten jährlichen Umsatz von 150 Milliarden US-Dollar und trägt damit wesentlich zur Finanzierung von Terrorismus bei. Pro Jahr werden ca. 600.000 bis 800.000 Menschen über nationale Grenzen transportiert, hier stellt der Luftverkehr für gewisse Strecken ein mittlerweile beliebtes Transportmittel dar (International Labor Organisation, ILO, 2014).
Betroffene an Bord – kannst Du sie sehen?
Fatima Issah berichtet als Opfer von ihrer eigenen abenteuerlichen Reise aus ihrem Heimatland Ghana nach Italien. Ein Geschäftsmann aus Nigeria hatte sich mit ihr angefreundet und sie schließlich mit Versprechungen von besseren Arbeitsbedingungen in ihrem ursprünglichen Job als Gefängniswärterin dazu gebracht, Ghana mit ihm gemeinsam Richtung Europa zu verlassen. Ihre Geschichte verlief ähnlich wie die vieler anderer Opfer: Mit falschen Versprechungen gelockt, unter Abnahme ihrer Reisedokumente und nie wissend, wohin die Reise genau geht, reiste sie über Dubai, Kosovo, Griechenland und Tschechien nach Italien. Viele dieser Reiseabschnitte erfolgten mit dem Flugzeug. In Italien angekommen sollte sie auf der Straße als Prostituierte arbeiten um ihre „Schulden“ von 40.000 Euro bei der zuständigen „Madame“, die sie gekauft hatte, abzutragen. Zusätzliche Kost-und-Logis-Kosten sowie die Miete für den Platz auf der Straße seien ebenfalls von ihr zu tragen. Fatima Issah gelang in der ersten Nacht auf der Straße die Flucht – heute arbeitet sie als Kontakt- und Vertrauensperson bei der italienischen NGO „PIAM Onlus“, die sich um Betroffene kümmert und ihnen beim Ausstieg aus der sexuellen Ausbeutung hilft. Sie beschreibt, dass es oft sehr schwer sei, die jungen Frauen vom Ausstieg zu überzeugen, da sie und oft auch ihre Verwandten im Heimatland körperlich bedroht werden. Die Frage, ob sie denke, dass eine geschulte flight crew ihre eigene missliche Lage bemerken und sie unterstützen hätte können, bejaht sie. Und das, obwohl sie selbst zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, wo ihre Reise enden würde: „Wenn die Crew an Bord weiß, wonach sie Ausschau halten muss, welche Indikatoren auffällig sind, z.B. dass ich nicht wusste wohin wir fliegen, dass ich nicht für mich selbst sprechen durfte, dann wären mein Begleiter und ich vermutlich schon beim ersten Flug als möglicher Fall von Human Trafficking aufgefallen.“
Meldung von Verdachtsfällen
Über derartige Auffälligkeiten an Bord berichteten beispielsweise Kolleginnen und Kollegen von Alina Maritz (Condor), als sie bei der hausinternen Cabin Crew Conference das Thema Menschenhandel aufgreift. Sie hätten teilweise nicht gewusst, wie sie damit umgehen sollten und begrüßten die Informationen von Frau Maritz. Dass ihr Arbeitgeber die Präsentation des Themas ermöglicht habe, sei für sie essentiell für den Bereich Crewtraining und sie verneint ganz entschieden eine Verunsicherung innerhalb der Crews aufgrund von Mehrinformation zu diesem Thema. Ganz im Gegenteil gab es seither keine Häufung von Meldungen zu Verdachtsfällen, bestätigt Constance Ratazzi-Nelles (Condor Crewtraining). Eine Befürchtung, die bei manchen Flugbetrieben durchaus zu Zögerlichkeit in der Diskussion zu Crewtraining im Bereich Menschenhandel an Bord führen mag.
Gleichwohl unterstützt Oliver Linke als Vertreter des Polizeipräsidiums Frankfurt die Aufklärung von Crews und die Meldung von Verdachtsfällen: „Eine Meldung ist in jedem Fall immer sinnvoll.“ Für die meldenden Crews entstünden hierdurch keine negativen Folgen und ihre Verantwortung ende nach der Meldung. Auch wenn eine Verfolgung von Straftaten die Menschenhandel betreffen schwierig sei, könnten Meldungen und dadurch vermehrte Kontrollen von verdächtigen Personen abschreckend auf die Menschenhändler wirken.
Unter Zuhilfenahme beispielsweise des IATA TIP Airline Assessment Forms, welches auch der Polizei am Gate direkt als Überblick dienen könnte, wäre eine Beobachtung des Verdachtsfalls innerhalb der Kabinencrew sowie die Kommunikation von Auffälligkeiten ans Cockpit wesentlich erleichtert.
https://www.iata.org/policy/consumer-pax-rights/Documents/human-trafficking-guidelines-v1.pdf
Die Frage, ob Menschenhandel künftig ins Crewtraining implementiert werden muss, könnte durch die EASA noch 2019 beantwortet werden. Bereits 2018 wurde mit den ICAO-OHCHR „Guidelines for Training Cabin Crew on Identifying and Responding to Trafficking in Persons“ ein erster Schritt zu Trainingsempfehlungen im Bereich Menschenhandel gelegt. Laut Martin Maurino (ICAO) ist für 2020 eine Veröffentlichung zu Empfehlungen im Bereich Meldekette sowie ein E-Learning-Tool für Crews von Seiten der ICAO geplant. Die Dringlichkeit des Themas begründet sich darin, dass jeder nicht erkannte Fall einer zu viel ist. Es geht um die Bekämpfung von Kriminalität, insbesondere der Trockenlegung von Finanzierungsmöglichkeiten des organisierten Verbrechens, das unter anderem Terroranschläge verübt, und auch um eine moralische Verpflichtung den Opfern gegenüber. Aus besagten Gründen haben VC und UFO das Thema aufgegriffen und im Zuge des gemeinsamen Workshops bei den deutschen Airlines platzieren können. Ein ebenfalls gemeinsam erarbeitetes Positionspapier findet Ihr hier.
Über die weiteren Entwicklungen im Bereich Human Trafficking, Crewtraining und Meldekette halten wir Euch auf dem Laufenden.
Save Landings
Eure AG Aviation Security
Quellen und weitere Infos:
- Bundesregierung zu Kleine Anfrage Bundestag Drucksache 18/4287 (s. S. 8 Luftverkehr)
- Hinweise auf Human Trafficking als Geldquelle für Terrorismus:
- IATA – human trafficking
- ICAO Preventing human trafficking by empowering aircraft cabin crew
- International Labour Organization – Global estimates of Modern Slavery (2017)
- UNODC, Definition zu Menschenhandel (2018)
- UN Sicherheitsrat, Resolution S/RES2388*(2017)
- Netzwerk gegen Menschenhandel
- PIAM Onlus